08 13
Apr´17

Skihochtourenwoche

in den Urner Alpen

Erneut waren die Rucksäcke gepackt, die Ski gewachst, und die Erwartungen groß angesichts der relativ stabilen Wetterprognose für die diesjährige Skitourenregion in der Schweiz. Die Urner Alpen zwischen Vierwaldstättersee und Furkapass sollten unser Ziel sein. Mit rassen Graten, zackigen Übergängen und schneidigen Spitzen werden sie beschrieben und stehen den 4000er, in deren Schatten sie stehen, im konditionsbezogenen und technischen Anspruch in nichts nach.

Wir zogen also aus mit erwartungsvollen Herzen und der Vorfreude auf eine ganze Woche Skiabenteuer in den Westalpen. In typisch heldenhafter Manier begannen die Abenteuer auch schon gleich initial mit der Herausforderung ein fahrtüchtiges Auto zu organisieren. Unsere Gruppe war dieses Jahr recht klein und da war die Auswahl an verkehrstüchtigen Fahrzeugen gering. Nachdem sich das größte Auto nach technischem Defekt disqualifiziert hatte, wurde auf ein wesentlich kleineres Rennpferd umgesattelt, dass uns zwar unter beengten Verhältnissen, dafür in atemberaubender Zeit an unseren Ausgangspunkt in Göschenen brachte. Atemberaubend ging es dann weiter in einem Ziegentransportmobil, dass uns raus aus dem Frühling im Tal rein in den Winter am Berg bringen sollte – die Luft wurde immer dünner nicht nur wegen der Höhe, sondern auch wegen der stickigen Verhältnisse im Ziegenbus.

Atemberaubend war dann auch gleich die Last unserer Rucksäcke. Hatten wir doch für den ersten Tag die Chelenalphütte mit Winterraum eingeplant und wollten auf das drei Gänge-Menü in der Schweiz nicht verzichten. Die Aussicht auf deutliche Erleichterung in den kommenden Tagen trieb uns voran und motivierte dazu mit dem Rucksack nicht einfach umzufallen und liegen zu bleiben.

So machten wir unseren beschwerlichen Aufstieg zur Chelenalphütte und wunderten uns wie weit der Frühling inzwischen schon auf die Berge hinaufgewandert war. Es war ein ganzes Stück zu gehen, ohne Ski an den Füßen dafür mit zusätzlicher Last auf den Schultern. Belohnt wurden wir schließlich mit einem eingeheizten Winterraum und warmen Willkommen von Gleichgesinnten am Berg. Nach geruhsamer Nacht und gemeinsamen Aufräumen stiefelten wir los, gleich von der Hütte weg einen steilen Anstieg. Der Schnee war hart und grenzwertig eisig. So wurden beim ein oder anderen der Gedanke an die Steigeisen wach. Die Urner Alpen zeigten uns gleich wo der Hammer hängt und stimmten uns auf die kommenden Tage ein. Der erste Tag blieb sonnig und bescherte uns ein Gipfelerlebnis, dass wir mit vielen anderen Skitourengehern teilen sollten. Es war Wochenende und das Sustenhorn ein verhältnismäßig leichtes Ziel.

Nach kurzer Abfahrt über einen Gletscherbruch und Zwischenziel Gwächtenhorn schoben wir rüber zur Tierberglihütte. Typisch Schweizerisch ging es hier zu. Alles war gepflegt und neu renoviert in hübscher Ordnung und Beschaulichkeit. Dunkle Wolken zogen an dem Abend zunächst nur in unseren Köpfen auf angesichts der Wetterprognose – es sollte schlechter werden, Schneefall war angekündigt, was für uns trübe Verhältnisse und null Sicht am Gletscher bedeuten würde. Da die nächste Etappe auf die Trifthütte als Mausfalle beschrieben wurde und unbedingte Sicht verlangte waren wir skeptisch und überlegten lange. Einige andere Tourengeher entschieden sich zum Abbruch der Urner Runde, was unsere Entscheidung nicht einfacher machte. Schließlich siegten jedoch die Optimisten (oder sollte man sagen: Ignoranten?!) Wir entschieden uns dazu das miese Wetter im Zweifelsfall auszusitzen – es sollte bei einem Tag Nebel und Schneefall bleiben. Also ging die Hochtour für uns vier weiter und wir bestritten am zweiten Tag die Königsetappe innerhalb der Urner Runde. Nach einem kurzen Abstecher auf den Vorderen Tierberg lag die 1.200 Höhenmeter lange Abfahrt über das Zwischen Tierbergen Kar zum Triftsee vor uns. Ein breites einladendes Kar, das sich in Anbetracht der mageren Schneeverhältnisse in tieferen Lagen zu einem kanonenrohrartigen Abfahrtsstreifen verengte. Immerhin war die Abfahrt durchgängig und ohne Abschnallen zu bewältigen. Ein grandioses Bergspektakel präsentierte sich uns fern ab der Zivilisation! Ebenso grandios sollte der südostseitige Aufstieg auf der gegenüberliegenden Bergseite werden. Entlang eines Baches, der über steile Felsplatten und grasdurchsetztes Blockgelände nur mehr spärlich von Schnee bedeckt war. Die Tageszeitliche Erwärmung sorgte außerdem für üppigen Sulz, durch den man jederzeit zum Bachbett durchbrechen konnte, Es glich einem Tanz wie auf rohen Eiern, bei dem man gezwungen war, das Übergewicht ständig auszubalancieren.

Die Aussicht auf weitere Anstrengung ließ uns erst mal Pause machen und herzhaft in die Brotzeit beißen. Gestärkt war die Strapaze dann nur mehr halb so belastend. Der Nachmittag schritt voran und wie angekündigt auch das schlechte Wetter. Während es vormittags noch freundlich wolkig war, standen wir bei zunehmender Trübsicht nachmittags bald in Nebel und Schneefall. Die letzte Abfahrt zur Hütte bewältigten wir im (fast-) Blindflug, ein paar Abfahrtsspuren folgend über fraglich durchhängende Spalten hinweg. Schließlich lichtete sich der Nebel etwas und die Hütte kam in Sicht. Später sollte es sogar noch mal aufreißen und zumindest Abendsonne geben. Passend dazu wurden wir gleich herzlich begrüßt von einer Hüttenwirtsfamilie mit einem Willkommensgetränk und einem Schulterklopfen. Die Familie lebte beispielhaft vor wie sich Kinderwunsch und Bergleidenschaft verbinden lassen, war der Jüngste doch erst ein halbes Jahr alt. Ein besonderes Highlight erlebten die Gäste jeden Abend beim Essen, wenn die Berge an Speisen, die nicht verzehrt werde konnten an den stillen Fensterbesucher verfüttert wurden. Stets um die gleiche Zeit sollte in den Abendstunden eine Füchsin erscheinen, die ihre Nase an der Fensterscheibe platt drückte und auf die Reste vom Tisch wartete. Es war ein sehenswertes Ereignis, das Tier in der Hochgebirgslandschaft bei Sonnenuntergang so nahe beobachten zu können.

Das Hüttenerlebnis war derart einladend und urig, dass wir uns auch im Hinblick auf die miese Wetterprognose für den nächsten Tag dazu entschieden eine weitere Nacht zu bleiben. So wurde am Tag nach unserer Ankunft auf der Trifthütte eine Tagestour unternommen mit leichtem Rucksack, da wir am Abend ja wieder zurückkommen würden. Die 1000 Hm zum Hinteren Tierberg entpuppten sich bei trüber Sicht jedoch als Herausforderung in der Wegfindung durch das Spaltenparadies. Am frühen Nachmittag erreichten wir den Gipfel und wurden sogar von Sonnenschein in Empfang genommen. Kalt war es trotzdem und so wurden nach kurzer Rast die Ski angeschnallt um dem Ruf von Bier und Apfelsaftschorle zurück zur Hütte zu folgen. Der Nachmittag und Abend verging feucht fröhlich, fühlten wir uns jetzt am zweiten Tag hier doch schon wie zu Hause.

Beim Auftakt zur vorletzten Etappe hatte der ein oder andere dann je nach dem mit einem (Muskel-)Kater vom vielen Lachen, oder dem übermäßigen Konsum alkoholischer Getränke zu kämpfen. Immerhin hatten wir in der Früh Zeit uns warm zu laufen über den langen Ausläufer des Rohnegletschers. Die morgendliche Kälte trieb uns zum raschen Gehen an und so kamen wir zügig voran. Weiter ging es zu einer kurzen Abfahrt und erneutem Felle runter – Felle rauf bis wir schließlich mittags unser Gipfelziel, den Dammastock, erreichten. Mit herrlicher Aussicht auf die Walliser Berge und das gegenüberliegende Berner Oberland konnten wir die ganze Schönheit der Schweizer Berglandschaft genießen. Da auch dieser Tag nicht richtig warm war, entschieden wir uns bald dazu aufzubrechen und nach einigen Abfahrtsmetern den Übergang zur Albert-Heim-Hütte ausfindig zu machen.

Der Übergang war bald gefunden dank der diversen Spuren die zur Felslücke am Gallenstock hinaufführten. Die Flanke erschien steil bei nur magerer Schneeauflage – eine anspruchsvolle Kombination. So wurden die Ski am Rucksack moniert und Steigeisen und Pickel ausgepackt. Das Stapfen im harten Schnee war mühelos und das Klettern im Fels mit den Metallzacken gewöhnungsbedürftig. Nach einiger Zeit erreichten wir die Scharte und wurden mit einem grandiosen Tiefblick belohnt. Der Gletscher war hier wohl schon seit einiger Zeit zurückgegangen und auf uns warteten 300 Hm Abstieg durch brüchiges und schneedurchsetztes Felsgelände, in das ostseitig vormittags schon die Sonne kräftig hineingeschienen hatte. Es war ein Eiertanz der volle Konzentration verlange und entsprechend Zeit in Anspruch nahm. Nur kein falscher Schritt.

Geraume Zeit später hatten wir den Übergang gänzlich überwunden und konnten die Skier wieder anschnallen für die letzte Abfahrt für heute. Erst Firn- dann Sumpfsurfend arbeiteten wir uns zur Hütte vor und erreichte diese am späten Nachmittag. An diesem letzten Abend sollten wir noch mal zeigen zu welch sportlichen Höchstleistungen wir fähig waren. Essenstechnisch waren wir nicht satt zu bekommen und so machte der Wirt große Augen, als ihm das Essen ausging, wir immer noch hungrig waren und er für uns eine riesige Portion Nudeln zusätzlich kochen musste. Nach dem 5. Teller warmer Mahlzeit war dann auch der letzte von uns halbwegs satt und der Abend fand seinen Ausklang beim obligatorischen Kartenspiel und Bier. Obwohl es der letzte Abend für uns in der Runde sein sollte, waren alle herzlich müde und redlich erschöpft und so fand das abendliche Treiben bald sein Ende.

Am nächsten Morgen ließen wir uns Zeit, da für heute nur noch die Abfahrt ins Tal anstand. Dabei sollte es sich vielmehr um ein Runtertragen handeln, denn schon nach den ersten Schwüngen Richtung Furkarpass schwand die Schneedecke dahin. Vereinzelt fanden sich sumpfige Firnreste, die gerade noch zum Drüberrutschen reichen.

So ging es dahin, bis wir mittags in Andermatt standen und den ankommenden Skitouristen zusahen, wie sie den Schnee suchen gingen. In voller Montur begegnete sich vereinzelte Blicke, man verstand sich wortlos und tauscht stillschweigend Anerkennung und Komplizenschaft aus.

Eine herrliche Skitouren-Woche ging zu Ende für uns und begann für die Anderen – so ist es ein ewiger Kreislauf!

Juliane Joneleit